Ist der Schlaffke eigentlich so eine Art Urtyp des idealen Menschen? Lebend im Einklang mit der Hamminkelner Natur, höflich, beruflich ordentlich ausgebildet und mit Schließmuskel und als Zwakkelmann ja auch in der Kunst bewandert. Und nun ist er mit dem Buch „Shitsingle“ auch noch Autor und kann er sich wohl deshalb nun erlauben, unter dem bürgerlichen Namen Reinhard Wolff zu veröffentlichen?

Als großer Freund des einfachen Wortspiels bin ich erstmal Fan des Titels (ja, auf dem Buchrücken ist das erste S sogar anders eingefärbt, um das Wortspiel zu betonen!), denn „Shitsingle“ ist eine Art Biografie Schlaffkes äh Zwakkelmanns, pardon Reinard Wolffs, die sich um Privates (wie das Single- oder eben nicht Singledasein) und das Leben als Musiker und Künstler dreht.

Wer sich auch nur ein bisschen im Umfeld von Schlaffke bewegt, wird einige Orte und Personen wieder erkennen, auch wenn diese in der Regel leicht anonymisiert wurden. Vieles ist lustig, einiges hat einen eher nachdenklichen Ton, kurz vor Ende des Buches wird es plötzlich ernst, finster, traurig.

In die Geschichten sind oft Zwakkelmannsche Songtexte eingebunden, so dass sich Buch und Songs gegenseitig Authentizität verleihen. Dabei ist das Ganze keine Künstlerbiografie im eigentlichen Sinne, sondern es sind „Anekdoten eines Vollidioten“, wie es so schön im Untertitel ist. Buch und Autor nehmen sich also angenehm unwichtig und alles hat diese wunderbar heimelige Aura, wie man eine Zwakkelmann Platte hört. Auch wenn die erzählten Geschichten episodisch sind, fügen sie sich irgendwo zu einem Gesamtbild zusammen, so dass man auch viel Neues etwa aus der Zeit von Schließmuskel erfährt oder dass Schlaffke sympathischerweise den schwäbischen Dialekt befremdlich findet.

Das Buch kommt in schöner, wertiger Aufmachung – gebunden und mit Lesebändchen. Es ist wunderbar!

Reinhard Wolff: Shitsingle. Anekdoten eines Vollidioten, Hirnkost 2021, 248 Seiten, ISBN: 978-3-948675-21-9, 18€

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Mit „Lärm der Nacht – Post-Punk im Westen“ werfen Peter Hartinger (bka Jan Cux) und Armin Wonner einen Blick in die Zeit der Entstehung und Ausdifferenzierung von Punk in den 80ern. Post-Punk scheint mir hier all das zu umfassen, was sich in irgendeiner Weise auf Punkideen beruft, aber dabei noch sein eigenes Ding macht und ein bisschen aus dem Rahmen fällt. Das Buch enthält einige Texte aus dem Schweinepest Fanzine, das die beiden seiner Zeit herausgaben, viele alte Fotos, die die beiden damals mit einfachem Equipment auf unzähligen Gigs geschossen hatten und ein paar für das Buch angefertigte Beiträge. Der regionale Schwerpunkt ist Düsseldorf und das Ruhrgebiet. Und so kommt in dem Buch eine bunte Mischung aus den Toten Hosen, Philipp Boa, Family 5, den Neubauten, Tom Liwa, den Ärzten aber auch viel Wave und Indie aus England vor. Von Clox und Vorgruppe aus dem Ruhrgebiet gibt es tolle Konzertfotos, außerdem kommen immer wieder Locations aus dem Ruhrgebiet in den Berichten vor, zum Beispiel das JZE oder die Pappschachtel.

Ein aktuelles Interview zeichnet die Geschichte vom Zentrum Altenberg nach, so dass man nicht nur reichlich wehmütig auf die herrlich unhygienischen Zustände in den frühen 80er zurück blicken kann, sondern auch noch einiges Neues erfährt. Sehr charmant ist ein Gastbeitrag von Tom Liwa, der aufgefordert ist über seinen Auftritt beim Garageland Showcase zu schreiben und erst einmal seine Erinnerungen an Kotze und Joints sortieren muss, um sich dann zu erinnern, dass es das Konzert war, bei dem er mit Münzen beschmissen wurde, weil er mit einer Akustikgitarre auftrat. Daneben steht ein Ausschnitt aus dem damalig verfassten Konzertbericht, in dem die Herausgeber des Buches wiederum bereits die Großartigkeit Tom Liwas erkannten. Das spricht für sie und mit diesem Buch erlauben sie einen liebevollen und stimmungsvollen Einblick in die frühen 80er. Die Zusammenstellung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Relevanz. Enthalten ist, was vorliegt und gefällt. Wie ein Fanzine in Gebunden.

Hartinger/Wonner: Lärm der Nacht – Post-Punk im Westen, Geldern 2021

https://www.peter-hartinger.de/mucke/wordpress/laerm-der-nacht/

Beim Punk im Pott 2013 fiel eine Entscheidung, nämlich dass es eine Biografie der Abtürzenden Brieftauben geben müsse und dass man dies am besten selbst machen müsse. Diese Entscheidung traf seiner Zeit René Schiering, der diese Biografie nach fast acht Jahren im hauseigenen Verlag der Band veröffentlicht hat. René war damals zu Beginn unserer Recherchen einer unserer ersten Ansprechpartner, weil er damals mit Rockwohl Degowski eine Platte veröffentlicht hatte und mehr oder weniger parallel mit „Ruhrpott Köter“ einen lässigen Ruhrpott-Roman noch dazu. Die Brieftauben Bio „Heute doof und morgen doof und übermorgen wieder. Die Geschichte der Abstürzenden Brieftauben“ thematisiert natürlich viel Hannover, aber natürlich werden immer wieder Querverbindungen ins Ruhrgebiet beschrieben. Besonders schön ist die Hingabe und Detailverliebtheit, mit der René die Geschichte der Band nachzeichnet. Philip hat mit ihm über Band, Buch und Bürgerliche gesprochen.

Wie ist es zu der Idee gekommen?

Ich wollte gern eine Künstlerbiografie machen und dann aber über eine Band, die mir etwas bedeutet. Die Brieftauben waren in meinen Teenager Jahren meine absolute Lieblingsband. Ich bin im Sommer 88 mit elf Jahren über meine große Schwester auf die Brieftauben gestoßen. Ich hab sie dann 2013 beim Punk im Pott erstmals live gesehen und so nahm es dann 2014 dann Fahrt auf.

Was hat dich als Teenager an den Brieftauben fasziniert?

Mich hat fasziniert, dass sie zu zweit waren und dass es zwei Kumpel waren, die ganz unkompliziert zusammen Musik gemacht haben. Das klingt ja auch nicht so, als ob das total aufwändig wäre. Ich hatte mir dann auch direkt ein paar Freunde dazugeholt und zum Beispiel mit einem Spielzeugschlagzeug Musik gemacht. Die Toten Hosen waren ja im Gegensatz immer eher eine Gang. So viele Freunde hatte ich in Gladbeck ja gar nicht, um mit denen mitzuhalten. Und das andere ist auch der Look, zum Beispiel wie bei Micro die blauen Haare ins Gesicht fielen.

Hat dich in Gladbeck damals nichts fasziniert?

Nein, nicht wirklich. Klar hat man später auch mal Bands kennen gelernt, als man dann auf Konzerte gehen durfte, aber mehr war da nicht.

Wie ist die Band mit deiner Anfrage umgegangen?

Ich hab die Band unkompliziert bei Facebook angeschrieben. Damals betreute Oli die Facebook Seite und ich hatte innerhalb von 20 Minuten die Antwort, dass er Bock hätte und er Micro gefragt hätte, der auch Bock hätte. Ich bin dann auch recht schnell nach Hannover gefahren und hab dann auch gemerkt, dass erst mal geguckt wurde, was ich für einer bin. Aber zum Glück mochte er mich, so dass wir sehr schnell die ersten Interviews gemacht haben. Darüber habe ich viele Details erfahren und es streute dann so heraus, so dass ich am Ende ca. 30 Interviews geführt habe.

Du beschreibst unglaublich viele Details. Hast du dich nochmal wie der kleine Teenager gefühlt, der seine Idole trifft oder warst du schon der professionelle Journalist?

Das erste ganz sicherlich auch. Ich hatte schon so was wie Herzrasen, als ich zum ersten mal in Micros Tür stand. Aber ich bin ja auf der anderen Seite auch Wissenschaftler, weil ich auch diese Lust habe, mich in diese Details hinein zu begeben.

Wie stehst du zum Begriff von Funkpunk, mal abgesehen von der Feststellung, dass einige Bands lustiger sind als andere.

Ich hab da nicht so das Problem, ein Subgenre zu erkennen. Dieses Phänomen wurde in Deutschland zwischen 88 und 93 ein richtiges Branding. Schließmuskel hatten da bestimmt Probleme mit, weil sie ja viel mehr sind, auch wenn sie mit den Brieftauben und Mimmis getourt sind. Ich würde das Phänomen aber trotzdem nicht negativ verstehen. Ich stimme insofern mit dir überein, dass diese Bands in der Grundhaltung nichts von anderen Bands unterscheidet, sondern dass sie mit Humor oder vielleicht Sarkasmus Stilmittel benutzen, um vielleicht Ähnliches auszudrücken. Schließmuskel sind ja fast schon intellektuell mit so wunderbaren Albumtiteln wie „Sehet, welch ein Untergang!“.

Du bist ja mit einer gewissen Perspektive darein gegangen, weil du dich ja schon als Kind und Teenager mit Band und Musik beschäftigt hast. Hat dich nach deinen Recherchen irgendetwas wirklich überrascht?

Wir war gar nicht so bewusst, dass unter diesen Leuten ja viele Abiturienten oder abgebrochene Studenten sind. Aber natürlich braucht es auch einen gewissen Background, um zum Beispiel mal eine Platte zu pressen. Dass Konrads Eltern zum Beispiel einen Kabarett- und Bühnen-Hintergrund haben, wusste ich zum Beispiel nicht, hat aber rückblickend viele Fragen beantwortet. Da war ich jedenfalls überrascht, wie weit das von dem Milieu entfernt ist, in dem ich aufgewachsen sind. Der 13-jährige in mir hätte sich das vielleicht anders gewünscht, weil man natürlich hoffte, dass man aus dem selben Holz geschnitzt ist.

Wie ist es nun zur Veröffentlichung gekommen?

Das Buch ist eigentlich seit 2018 fertig. Vorher gab es Gespräche mit Verlagen oder auch einem Literaturagenten, der sich darum kümmern wollte. Das hat aber letztlich alles nicht geklappt. Und dann kam die Idee auf, es mit der Band zu machen, weil das Management eine eigene Produktionsfirma hat. Und damit wurde es eines von vielen Projekten der Band, in die sich die Buchveröffentlichung dann so einreihte. Corona war dann sicherlich der richtige Zeitpunkt, das zu bringen, weil die Leute zum Beispiel nicht auf Konzerte können und die Band selbst ja auch nicht tourt.

Und bist zu zufrieden mit der Situation es nun mit der Band selbst veröffentlicht zu haben?

Ja total, das Buch hat ja auch eine ISBN Nummer und alles. Mir war es ab einem gewissen Punkt auch wichtig, dass die Band da mit drinnen ist. Das macht es auch gewichtiger, wenn ich weiß, dass die Band einverstanden ist. Und auch die Band soll ja was davon haben, also auch Geld und Prozente. Außerdem kann man das Buch direkt an die Fans verkaufen und man muss sich weniger mit Großhändlern und ähnlichem herum schlagen. Ich finde, das ist die angemessene Art, das zu veröffentlichen.

Schiering, René: Heute doof und morgen doof und übermorgen wieder Die Geschichte der Abstürzenden Brieftauben, 2021, ISBN 978-3-946519-01-0 236 Seiten plus CD

Erhältlich über den Buchhandel oder über den Verlag: https://www.robido.de/allgemein/heute-doof-und-morgen-doof-und-uebermorgen-wieder-von-rene-schiering/